Veröffentlichungen


Strafprozessuale Wahrheitsfindung mittels Sachverständiger im Spannungsfeld zwischen Aufklärungspflicht und Beweisantragsrecht

Von Rechtsanwälten Stefan Conen, Berlin, und Michael Tsambikakis, Köln

(Erschienen in: Goltdammer´s Archiv für Strafrecht, Ausgabe August 2000, Seite 372ff.)

Aus Anlaß des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 30. 7. 1999 - l StR 618/98 (1) - beschäftigt sich der folgende Beitrag mit der Frage, inwiefern das in § 244 Abs. 2 StPO verankerte Gebot umfassender Sachverhaltsaufklärung von dem Agieren der Prozeßbeteiligten bestimmt wird. Weiter wird die Frage behandelt, inwiefern sich die Begründungspflicht eines Beschlusses, mit dem ein Beweisantrag auf Zuziehung eines weiteren Sachverständigen abgelehnt wird, an der Qualität des Antrags orientieren darf. l.a) In einem obiter dictum postulierte der l. Senat des BGH kürzlich: »Hält ein Prozessbeteiligter die wissenschaftlichen Anforderungen (eines bereits vom Gericht eingeholten Gutachtens) (2) dagegen für nicht erfüllt, wird er noch in der Tatsacheninstanz auf die Bestellung eines weiteren Sachverständigen hinzuwirken haben.« (3) Die Auffassung des Senats scheint eindeutig. Die Prozeßbeteiligten stehen in der Pflicht, vermutete bzw. erkannte (und möglicherweise auch bloß erkennbare) Kritikpunkte an einem Sachverständigengutachten noch in der Tatsacheninstanz geltend zu machen und gegebenenfalls mit einem Beweisantrag darauf zu dringen, ein weiteres, wissenschaftlichen Anforderungen genügendes Gutachten als Beweisstoff in die Hauptverhandlung einführen zu lassen. Daß der BGH damit die Prozeßbeteiligten nur zu sachgerechter Ausübung ihrer Interessen anhalten will, ist nicht die naheliegendste Interpretation. Wo Verfahrensbeteiligten Pflichten auferlegt werden, sei es gesetzlich oder richterrechtlich, ist deren Verletzung im allgemeinen prozessual sanktioniert. In dem zitierten Satz des l. Senats könnte daher ein Rechtsgedanke anklingen, der seit BGHSt 38, 214 als »Widerspruchslösung« firmiert. Diese in ihrer Reichweite noch ungeklärte Rechtsfigur überantwortet es dem Verteidiger und seiner »besonderen Verantwortung (...) und seiner Fähigkeit« (4), hoheitliche Gesetzesverletzungen, jedenfalls was Belehrungsmängel angeht, aufzudecken und zu erkennen, ob die Berufung auf das Verwertungsverbot einer sinnvollen Verteidigung dient (5). Das Verwertungsverbot hat er in Form eines zu protokollierenden Widerspruchs spätestens zum Zeitpunkt des § 257 Abs. 2 StPO geltend zu machen. Unterläßt er dies, ist eine entsprechende Rüge in der Revisionsinstanz präkludiert (6). Dennoch wäre es verfehlt, aus dem in Rede stehenden Satz des Urteils einen Ausbau der »Widerspruchslösung« herauszulesen. Passivität in der Tatsacheninstanz kann dogmatisch nicht die Revisibilität des Urteils im Hinblick auf dessen Feststellungen zur Schuld- und Strafmaßfrage präkludieren. Denn dies würde dazu führen, daß der Kernbereich der Aufklärungspflicht des Tatrichters nach § 244 Abs. 2 StPO zur Disposition der übrigen Prozeßbeteiligten stünde. Auf das Beweisantragsrecht bezogen wäre dies nicht nur allgemein unrichtig, sondern auch im speziell hier interessierenden Kontext, dem Verhältnis von Aufklärungspflicht zum Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen nach § 244 Abs. 4 StPO. b) Was das Verhältnis von Beweisantragsrecht und Aufklärungspflicht angeht, steht eine abschließende Klärung durch Literatur und Rechtsprechung noch aus (7). Die jüngere Auseinandersetzung mit der Thematik wurde durch das Gutachten von Gössel zum 60. Deutschen Juristentag angestoßen, das u.a. eine weitgehende Reform des § 244 StPO vorschlug (8). Seine Reformvorschläge gründen u.a. auf der These, daß die Reichweite der Aufklärungspflicht mit derjenigen des Beweisantragsrechts deckungsgleich sei. Danach vermögen Beweisanträge lediglich die Aufklärungspflicht zu aktualisieren, worauf noch einzugehen sein wird. Unbestritten scheint jedenfalls zu sein, daß der Umfang der gebotenen Sachaufklärung grundsätzlich unabhängig davon zu bestimmen ist, ob ein Verfahrensbeteiligter einen Beweisantrag stellt (9). Dies gibt bereits die Formulierung des § 244 Abs. 2 StPO vor, der dem Tatgericht »von Amts wegen« aufgibt, alle Tatsachen und Beweismittel zur Entscheidungsfindung heranzuziehen. Der BGH folgert hieraus, daß das Aufklärungsgebot ein »die Handhabung aller Verfahrensvorschriften beherrschender Grundsatz« (10) ist, der es gebietet, »eher ein Zuviel als ein Zuwenig« (11) zur Erforschung des Sachverhalts zu tun. aa) Diesem Befund steht nicht entgegen, daß im Rahmen der Aufklärungspflicht ein gewisser Grad an Beweisantizipation zulässig sein kann, da die Frage, ob ein bestimmtes Beweismittel zu weiterer Beweiserhebung drängt oder Entscheidungsreife vorliegt, auch den Blick auf das bisherige Beweisergebnis gestattet (12). Ein Beweisantrag kann daher die Aufklärungspflicht gewissermaßen aktualisieren, wenn er Umstände aufgreift, die das Tatgericht ohnehin zur Aufklärung drängen. Darüber hinaus kann er das Tatgericht aber auch dort zur Beweiserhebung zwingen, wo die Sachaufklärungspflicht eine solche nicht gebieten würde. Gössel bestreitet dies (13). Er sieht die gerichtliche Aufklärungspflicht durch Beweisanträge lediglich aktualisiert. Das Gebot, den Beweis antragsgemäß zu erheben, sofern kein gesetzlicher Ablehnungsgrund Platz greift, gebietet demnach nicht der Antrag selbst, sondern die durch den Antrag ausgelöste Aufklärungspflicht. Dem ist entgegenzuhalten, daß de lege lata lediglich §§ 244 Abs. 5 Satz 2, 384 Abs. 3, 420 Abs. 4 StPO sowie § 77 OWiG den Tatrichter von der Pflicht entbinden einem Beweisantrag nachzugehen, sofern die Sachaufklärung eine weitere Beweiserhebung nicht gebietet. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß das Tatgericht im Strafverfahren einem Beweisantrag, für den ein gesetzlicher Ablehnungsgrund nicht ersichtlich ist, auch dann zu folgen hat, wenn die Aufklärungspflicht hierzu keinen Anlaß geben würde (14). Denn die Zulässigkeit einer Begründung, mit der ein Beweisantrag abgelehnt wird, ist ausschließlich an den ge- setzlich fixierten Ablehnungsgründen des § 244 Abs. 3-5 StPO zu messen. Jegliche Beweisantizipation ist unzulässig, es sei denn, der gesetzliche Ablehnungsgrund läßt sie (ausnahmsweise) zu. Die »Schnittmenge« (15), welche die von Amts wegen zu erhebenden Beweise und die hierzu gleichermaßen zulässigen Beweisanträge bilden, mag also grundsätzlich die Grenzen der Amtsaufklärungspflicht abstecken (16), nicht aber diejenigen des antizipationsfeindlichen Beweisantragsrechts (17). Der Umstand, daß eine solche Schnittmenge existiert, vermag für sich allein einen Konnex zwischen Beweisantragsrecht und Aufklärungspflicht nicht zu begründen. Anträge, die Beweiserhebungen begehren, welche ohnehin von Amts wegen vorzunehmen wären, sind zwar nicht unzulässig, auf den Umfang der Beweisaufnahme und des »Inbegriffs der Hauptverhandlung« aber ohne Einfluß und damit letztlich für die Überzeugungsbildung überflüssig. Ein Wechselspiel anderer Qualität besteht indes zwischen der Aufklärungspflicht und der Befugnis zur freien Beweiswürdigung« nach § 261 StPO. Letztere bedingt, daß im Rahmen der Aufklärungspflicht der Umfang der Beweiserhebung »unfrei« ist, um die Qualität des durch »freie« Würdigung gefundenen Beweisergebnisses zu sichern (18). bb) Steht mithin aufgrund der Prinzipien des Beweisrechts fest, daß Beweisanträge zwar die Pflicht des Tatrichters zur Erforschung der Wahrheit über die Amtsaufklärungspflicht hinaus ausdehnen, aber nicht einschränken können (19), liegt es gleichermaßen auf der Hand, daß die Verfahrensbeteiligten dem Tatgericht durch ihr Verhalten hinsichtlich der von Amts wegen zu erhebenden Beweise keinen Dispens erteilen können. c) Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur finden sich jedoch Formulierungen, die einem solchen Dispens tendenziell das Wort zu reden scheinen (20). Im Einklang mit dem aufgezeigten Verhältnis von Beweisantragsrecht und Amtsaufklärung steht dies nur, wenn das Tatgericht aufgrund der im Rahmen der Amtsaufklärung bedingt zulässigen Beweisantizipation aus einem Verhalten des Prozeßbeteiligten ausnahmsweise schließen kann, daß sich eine Beweiserhebung nicht aufdrängt (21). An die Zulässigkeit eines solchen Schlusses werden strenge Anforderungen zu stellen sein. d) Ausgeschlossen ist nach alledem, daß ein unterlassener Beweisantrag die Aufklärungsrüge präkludieren könnte. Dies gilt auch für die im obiter dictum (22) angesprochene Konstellation, daß ein Verfahrensbeteiligter trotz methodisch mangelhafter Gutachtenerstattung einen Beweisantrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen nicht stellt. Denn hinsichtlich der Reichweite der Amtsaufklärung birgt die Beweiserhebung durch Sachverständige grundsätzlich keine Besonderheiten. Seit BGHSt 2,164 ist es ständige Rechtsprechung, daß ein Tatgericht, das auf Beweiserhebung durch Anhörung eines Sachverständigen verzichtet und sich unzutreffend eigene Sachkunde attestiert, seine Aufklärungspflicht verletzt (3). Deren Reichweite ist auch im Rahmen des Sachverständigenbeweises unabhängig vom Beweisantragsrecht zu bestimmen. Dies verdeutlichen Entscheidungen, in denen eine tatrichterliche Pflicht zur Anhörung eines weiteren Sachverständigen auch dann noch angenommen wurde, wenn ein entsprechender Beweisantrag nach § 244 Abs. 4 StPO rechtsfehlerfrei hätte abgelehnt werden können (24). Obwohl es nicht unmittelbar einleuchtet, daß ein Beweisantrag, der die tatrichterliche Aufklärungspflicht anspricht, ablehnbar sein soll, erhellt diese Rechtsprechung, daß die Reichweite der Amtsaufklärungspflicht auch dann unabhängig vom Beweisantragsrecht zu bestimmen ist, wenn ein gesetzlicher Ablehnungsgrund (§ 244 Abs. 4 StPO) ausnahmsweise eine Beweisantizipation zuläßt (25). e) Bezüglich des Sachverständigenbeweises fordert § 244 Abs. 2 StPO vom Tatrichter die Aufklärung der wissenschaftlichen Zuverlässigkeit des Gutachtens (26). Hieraus kann sich auch die Pflicht ergeben, vorbereitende Arbeitsunterlagen des Sachverständigen zu prüfen, um dessen Vorgehen nachvollziehen und seine Schlußfolgerungen kritisch prüfen zu können (27). Zu erinnern ist auch, daß die Bezugnahme auf andere Gutachten nur tunlich ist, sofern der übernehmende Gutachter dieses nicht nur kritisch überprüft hat, sondern das entsprechende Sachgebiet auch beherrscht (28). In dem hier zu besprechenden Fall offenbarten die tatrichterlich getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Qualität des Sachverständigengutachtens eine Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO. Das Tatgericht konnte sich auf der Grundlage des vom BGH zutreffend als mangelhaft bewerteten Gutachtens eben nicht die erforderliche Sachkunde verschaffen, deren es zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung der Zeugin bedurft hätte. Daß die Tatrichter dies nicht selbst festgestellt haben, begründet eine Verletzung ihrer Aufklärungspflicht. Mithin hätte die Revision auch dann Erfolg haben müssen, wenn in der Tatsacheninstanz ein Beweisantrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen nicht gestellt, jedoch eine Aufklärungsrüge in zulässiger Form (29) erhoben worden wäre. Denn ein nicht gestellter Beweisantrag kann eine zulässige Aufklärungsrüge - wie oben ausgeführt - nicht präkludieren. 2. Das Urteil gibt ferner Anlaß, eine in Rechtsprechung und Literatur weitgehend akzeptierte prozessuale Besonderheit zu überdenken. Es geht dabei um die in den Urteilsgründen angesprochene Thematik, mit welchem Begründungsaufwand ein Beweisantrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen abgelehnt werden darf (30). a) Die formellen Voraussetzungen eines Ablehnungsbeschlusses ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz. Die Ablehnung erfolgt gem. § 244 Abs. 6 StPO durch Beschluß, der nach § 34 StPO zu begründen ist. Als wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 Abs. l StPO ist er mit Gründen in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen (31). Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Beschlußbegründung schweigt das Gesetz. Sie ergeben sich jedoch aus den Funktionen, die der Ablehnungsbeschluß erfüllen soll. Da die Ablehnung eines Beweisantrags eine neue Prozeßlage schafft, auf die sich der Antragsteller einstellen können muß, hat die Begründung ihm Gelegenheit zu geben, sich mit den tragenden Argumenten des Gerichts auseinanderzusetzen (32). Sie muß daher die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen erkennen lassen, die das Gericht zur Ablehnung bewogen haben. Nur dies löst den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör ein und ermöglicht ihm, sein weiteres prozessuales Verhalten sachgerecht zu planen (33). Ferner muß das Revisionsgericht in der Lage sein, die Ablehnung rechtlich zu überprüfen (34). Nicht zuletzt soll einer im Beweisantragsrecht grundsätzlich unzulässigen Beweisantizipation vorgebeugt werden (35). Vorliegend führt der BGH aus, es bedürfe »einer ausführlichen Begründung des Ablehnungsbeschlusses nur dann, wenn der Antragsteller einen Mangel des Erstgutachtens konkret vorgetragen hat«. Eine Abhängigkeit der Begründungsqualität des ablehnenden Beschlusses von dem Grad der Substantiierung des Beweisantrags stünde im Widerspruch zu der oben skizzierten umfassenden Begründungspflicht. Eine entsprechende Ausnahme für den auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen gerichteten Antrag läßt sich dogmatisch jedenfalls nicht durch den Hinweis auf eine tradierte Rechtsprechung rechtfertigen. Im vorliegenden Verfahren hat der BGH das Urteil der Kammer aufgehoben, da die Begründung des Ablehnungsbeschlusses den gesetzlichen Anforderungen nicht genügte. Warum eine derart knappe Begründung hingegen ausreichen soll, wenn der Beweisantrag nicht substantiiert Gründe darlegt, aus denen sich Zweifel an der Sachkunde ergeben, bleibt offen. In der Instanz hatte der Antragsteller behauptet, das erstattete Gutachten entspreche nicht dem Stand der Wissenschaft, und dies mit Hilfe einer Stellungnahme eines anderen Fachvertreters konkretisiert. Ob die Dialogfunktion eines den Beweisantrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen ablehnenden Beschlusses vom Grad der Substantiierung des Antrags abhängig ist - wie auch die Literatur meint (36) - ist aus dogmatischen und praktischen Erwägungen zu überdenken. b) Das Gericht ist gehalten, jeden ablehnenden Beschluß im Hinblick auf die oben dargelegten Funktionen mit einer Begründung argumentativ zu untermauern. Zwar mögen die Anforderungen hieran mit der Qualität und der Bestimmtheit des Beweisantrags steigen. Keinesfalls können aber bloße Wiederholungen des Gesetzestexts (37) oder Floskeln diesem Begründungserfordernis genügen. Auch der ohne nähere Begründung gestellte Antrag muß, soweit er rechtlich als Beweisantrag anzusehen ist, in einer Form beschieden werden, die Mindeststandards der Begründungsfunktionen wahrt (38). aa) Die gegenteilige Auffassung hat ihren Ursprung in der Rechtsprechung des RG (38). Danach genügte zur Ablehnung eines Beweisantrags auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen die Ausführung, das Tatgericht halte einen weiteren Sachverständigen nicht für erforderlich (39). Revisionsrechtlich wurde auch nicht beanstandet, wenn der Beweisantrag stillschweigend übergangen worden war (40). Das Tatgericht konnte einen solchen Beweisantrag damit faktisch nicht fehlerhaft behandeln (41). Nach 1945 wurde diese Rechtsprechung durch die Revisionsgerichte fortgeführt (42). Von Interesse ist, daß die Ablehnungsgründe, wie wir sie heute kennen, erst durch das RVereinheitIG vom 12. 9.1950 (43) kodifiziert wurden und die gesetzliche Ausgangslage daher nicht vergleichbar ist (44). Das änderte aber nichts an dem rechtstatsächlichen Befund, daß Beweisanträge auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen fast immer revisionssicher abgelehnt werden konnten (45). Ein erhöhter Begründungsaufwand bei der Ablehnung eines entsprechenden Beweisantrags wurde nur für den Fall verlangt, daß der Antragsteller auf konkrete Mängel des Erstgutachtens hinwies (46). Die These, daß die Anforderungen an die Be-schußbegründung gleichsam proportional zur Antragsqualität steigen, modifiziert lediglich die angeführte Reichsgerichtsrechtsprechung, ohne deren Ausgangspunkt zu verlassen. Geboten ist es spätestens seit der Kodifizierung der Ablehnungsgründe hingegen, das Augenmerk auf den Begründungszwang zu richten, der seinen gesetzlichen Zweck nur erfüllen kann, wenn ein Mindestmaß inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Erstgutachten als selbstverständlich vorausgesetzt wird. bb) Beruft sich das Gericht bei der Ablehnung eines auf die Anhörung eines weiteren Sachverständigen gerichteten Beweisantrags auf eigene Sachkunde, muß diese auch angemessen dokumentiert werden. Es genügt nicht, wenn dies erst in den Urteilsgründen erfolgt (47). Denn eine Erörterung in den Urteilsgründen kann das Unterlassen der Erörterung im Beschluß nicht kompensieren. Der Antragsteller kann sich sonst nicht (wie auch im hier besprochenen Urteil gefordert) auf die aktuelle Prozeßlage einstellen. Mittels eines Beweisantrags bringt der Verfahrensbeteiligte nicht nur seinen Willen zum Ausdruck, aktiv in das Prozeßgeschehen einzugreifen, sondern er nimmt ein Recht wahr, das seine Subjektstellung im Verfahren verbürgt. Dieses Recht wird konterkariert, wenn eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Beweisantrag erst im Urteil erfolgt. Kommt es dem Antragsteller nicht darauf an, unbedingt in das aktuelle Prozeßgeschehen einzugreifen, wird er einen Hilfsbeweisantrag stellen. cc) Sieht das Gericht das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache als erwiesen an, muß die Beschlußbegründung die darin vorweggenommene und ausnahmsweise zulässige Beweiswürdigung den Prozeßbeteiligten inhaltlich zugänglich machen. Neben der oben bereits ausgeführten Dialogfunktion muß berücksichtigt werden, daß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO eine Ausnahme hinsichtlich des ansonsten geltenden Verbots der Beweisantizipation (48) darstellt. Um einer »endlosen Gutachterschlacht im Gerichtssaal« vorzubeugen (49), wird gesetzlich fingiert, daß grundsätzlich alle Sachverständigen einer Fachrichtung gleichermaßen qualifiziert seien (50). Akzeptiert man diese Fiktion als einen aus Sachzwängen geborenen, gleichwohl einschneidenden prozessualen Sonderfall, gibt dies aber für eine Differenzierung hinsichtlich der Begründungsqualität eines Ablehnungsbeschlusses nichts her. Die Ausnahme vom Verbot der Beweisantizipation kann nur so weit greifen, wie der Anlaß dieser normativen Entscheidung reicht. Ein Placet für Beweiswürdigungen, die nicht transparent gemacht werden müssen, kann § 244 Abs. 4 StPO nicht entnommen werden. Dem steht auch entgegen, daß der Begründungszwang sowohl dem Revisionsgericht als auch - wie der Senat selbst ausführt - den Verfahrensbeteiligten die Überprüfung der tatrichterlichen Erwägungen ermöglichen soll. c) Hinzu kommt, daß ein substantiierter Beweisantrag oft nicht ohne weiteren hinzugezogenen Sachverstand formuliert werden kann. Nicht jeder Angeklagte, mag er auch verteidigt sein, ist in der Lage, sich dieses Sachverstands zu bedienen. Oft scheitert es bereits an mangelnden finanziellen Ressourcen, anerkannte Fachleute hinzuziehen. Auch in diesen Fällen muß es aber möglich sein, die Frage, ob die Anhörung eines weiteren Sachverständigen sinnvoll sein kann, zu problematisieren oder zumindest das Gericht zu zwingen, die wesentlichen Überlegungen transparent zu machen, die das Vertrauen auf die Erstbegutachtung begründen.     1 Wissenschaftliche Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen: abgedruckt u. a. in NJW 1999,2746; vgl. dazu auch die Anmerkungen von Müller JZ 2000,267; Ziegert NStZ 2000.100. 2 Einschub in Klammern durch Verf. 3 BGH NJW 1999, 2751. Dem Urteil lag zusammengefaßt folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem eine Sachverständige ein Glaubwürdigkeitsgutachten hinsichtlich eines kindlichen Zeugen erstattet hatte, das dessen Aussage Glaubhaftigkeit bescheinigte, stellte der Verteidiger zum Beweis des Gegenteils den Antrag auf Vernehmung eines weiteren psychologischen Sachverständigen. In seinem Antrag behauptete der Verteidiger dezidiert Mängel des Erstgutachtens unter Bezugnahme auf eine entsprechende schriftliche sachverständige Stellungnahme. Den Antrag lehnte das Tatgericht ab, ohne sich mit den behaupteten Mängeln im Ablehnungsbeschluß auseinanderzusetzen. Diese Verfahrensweise beanstandete der BGH als rechtsfehlerhaft. In den Urteilsgründen bereitet der Senat die an ein Glaubwürdigkeitsgutachten zu stellenden Anforderungen auf und formuliert im Anschluß hieran u. a. den zitierten Satz. Unbeschadet des thematischen Schwerpunkts und der Intention des Urteils, methodische Mindeststandards für forensische Glaubwürdigkeitsgutachten festzulegen, bieten die prozessualen Ausführungen des Senats in einigen Punkten Anlaß zur Auseinandersetzung. 4 BGHSt 38,226; kritisch hierzu Widmaier NStZ 1992,521: Ventzke St V 1997,543 ff. 5 Dazu, daß die »Widerspruchslösung« dogmatisch wenig überzeugend ist, siehe (statt vieler) Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 429 m.w.N. 6 Daß die Verteidigung hinsichtlich der effektiven Wahrnehmung der Beschuldigteninteressen in die Pflicht genommen wird, reflektiert für die Anwaltschaft letztlich nur eine Anforderung, die § 43 BRAO ohnehin stellt. Die Tendenz der jüngeren Rechtsprechung ist hingegen eine andere: In NJW 1997,404; NStZ 1997, 99 postuliert das BayObLG eine Verwirkung von Verfahrensrechten mit der Überlegung, der verteidigte Angeklagte schaffe durch prozessuales Verhalten eine »Vertrauensgrundlage«. Eine spätere Abkehr hiervon erscheine »als gegen Treu und Glauben verstoßendes illoyales Verhalten«, dem Relevanz zu versagen sei. Auf der gleichen Linie liegt der BGH mit seinem Beschluß vom 25.2.2000 - 2 StR 514/99. Dort wird einer Revision der Erfolg versagt, in der eine Verletzung des § 261 StPO gerügt wurde, da das Urteil eine vom Verteidiger übergebene Erklärung verwertete, die jedoch nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war. Für die Richtigkeit des Revisionsvortrags stritt die Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls. Der BGH sprach dem Revisionsführer das Rügerecht bezüglich dieses Verfahrensfehlers ab, da er die rechtsfehlerhaft verwertete Urkunde durch die Übergabe selbst in das Verfahren eingeführt habe. Sich mit dem Verfahrensfehler zu befassen lehnt der Senat wie folgt ab: »Widersprüchliches Prozeßverhalten verdient jedoch keinen Rechtsschutz.« Die zutreffende Absage an Tendenzen, das Verteidigungsverhalten an auf »Treu und Glauben« gegründete Erwartungshaltungen der Justiz zu messen, haben Kempf (StV 1996,506) und Herdegen (NStZ 2000, 1) erteilt. Nichts anderes gilt für die Frage der Verwirkung von Verfahrensrechten aufgrund eines vermeintlichen »venire contra factum proprium«. Die letzterem notwendig zugrunde liegende Überlegung, der Beschuldigte könne durch sein Verhalten das Gericht von der Einhaltung von Verfahrensregeln freistellen, ist verfehlt. Ebenso wie einem ausdrücklichen »Handel« mit Verfahrensrechten eine generelle Absage zu erteilen ist (so auch BGHSt 43, 196 bezüglich des Rechtsmittelverzichts), kann auch der »fahrlässige« Verfahrensfehler nicht mit einem Verhalten des Beschuldigten gerechtfertigt werden. 7 Hierauf en detail einzugehen, würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen. Statt dessen sei auf die instruktive Darstellung bei Sarstedt/Hamm, Rn. 528 ff. verwiesen. 8 60. DJT, Bd. I: Gutachten, Teil C. 9 Eine gegenteilige Ansicht müßte sich unseres Erachtens damit auseinandersetzen, daß die Anerkennung der Existenz der Aufklärungsrüge Einigkeit bezüglich der Reichweite der Aufklärungspflicht zumindest fingiert. 10 BGHSt 1,96. 11 BGHSt 23,12. 12 Vgl. BGHSt 36,164, BGH NJW 1997,2762f.; Eisenberg (Fn. 4) Rn. 11; eingehend LR-Gollwitzer Rn. 46a, kritisch KK-Herdegen Rn. 21, beide zu § 244, einschränkend auch Engels GA 1981,22. 13 S. Fn. 8 sowie ders. JR 1995,364; JR 1996,100; und im Rahmen der Besprechung der vierten Auflage des Karlsruher Kommentars in GA 1999,543 ff. 14 Dies als »überschießende Wahrheitsermittlung« zu bezeichnen (Schlächter GA 1994,412) ist verfehlt. Ein Beweisantrag, der bereits ex ante erkennbar »überschießende« Beweiserhebungen begehrt, ist mit dem Instrumentarium des § 244 Abs. 3-5 StPO unproblematisch und prozeßökonomisch handhabbar. Wer aber einen Beweisantrag ex ante als »überschießende« Wahrheitsermittlung etikettieren möchte, hat sich denknotwendig vor Beendigung der Beweisaufnahme eine abschließende Beurteilung des Sachverhalts erlaubt und seine »Wahrheit« gefunden. Die hiermit verbundene Gefahr von Fehlurteilen ist bei Peters (Fehlerquellen im Strafprozeß, etwa Bd. II, 227; vgl. a. Herrmann ZStW 85 (1973), 280) empirisch belegt. Eine Absage an derartige Beweisantizipationen hat der BGH in ständiger Rechtsprechung nicht nur für Fragen des Beweisantragsrechts erteilt, sondern auch im Rahmen der Aufklärungspflicht. 15 Ähnlich Schlächter GA 1994,411, die allerdings Gössel folgend in ihrer Konzeption die Aufklärungspflicht als Wurzel des Beweisantragsrechts begreift (zweifelhaft, vgl. Widmaier NStZ 1994,415). 16 Insoweit zutreffend Engels, a.a.O. Auf Entscheidungen, die im Bereich des Sachverständigenbeweises teilweise eine über das Beweisantragsrecht hinausgehende Amtsaufklärung einfordern, wird noch einzugehen sein. 17 In diesem Sinne auch BGHSt 21,124; BGH NJW 1997,504 sowie LR-Gollwilzer Rn. 59; KK-Herdegen Vorbem III, beide zu § 244; Frister ZStW 105 (1993), 360: s. a. Widmaier NStZ 1994,415f.; a. A. Gössel, (a.a.O.) 18 Kunert GA 1979,413; ihm folgend Herdegen NStZ 1984,97; vgl a. bereits RG Rspr. 2,176; RG Rspr. 3, 498; RG Rspr. 7,296. Grundlegend zur revisiongerichtlichen Prüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung und immer noch aktuell Niemöller StV 1984,431. 19 BGH NJW 1997, 2762: Eisenberg (Fn. 5). Rn. 59; Sarstedt/Hamm Rn. 532. Der Regelung des § 245 Abs. l Satz 2 StPO ist Entgegenstehendes nicht zu entnehmen, da die in Satz l genannten Beweismittel nicht den Umfang der Aufklärungspflicht bestimmen. 20 BGHSt 16, 389; BGH NStZ 82, 451; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rn. 81 zu § 244; tendenziell auch Widmaier,NStZ 1994,415 f. 21 So auch KK-Herdegen, Rn. 20 zu § 244; Sarstedt/Hamm, Rn. 533. Zu erinnern ist aber mit BGHSt 23, 12, daß dem Tatrichter grundsätzlich »eher ein Zuviel als ein Zuwenig« an Sachaufklärung auferlegt ist. 22 Vgl. oben Fn. 3. 23 vgl. auch BGH NJW 1993,1540. 24 BGHSt 10,116; BGHSt 23,176; OLG Düsseldorf StV 1986,376. 25 Herdegen, NStZ 1984, 98 sieht die Rechtfertigung der nach § 244 Abs. 4 StPO zulässigen Beweisantizipation in der gesetzlichen Fiktion, daß alle aus dem Kreise der in Betracht kommenden Sachverständigen zu einem Beweisthema das für die Beantwortung der Beweisfrage erforderliche Wissen gleichermaßen haben (»Diskriminierungsverbot«), wenn nicht der in § 244 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO genannte Grund dieser Fiktion entgegensteht. 26 BGHR StPO § 244 Abs. 2 Satz 2 Sachverständiger 14. 27 BGH StV 1995, 565; zur Frage, inwieweit der Sachverständige aus dem Rechtsstaatsprinzip gehalten ist, seine Arbeitsunterlagen den Prozeßbeteiligten offenzulegen.vgl. BVerfG NJW 1995,40 (allerdings bezogen auf einen Zivilprozeß). 28 BGH NStZ 1998,610. 29 Hierin wird häufig eine Hauptschwierigkeit liegen, da die Mängel des schriftlichen Gutachtens zwar in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Form gut darstellbar sind, die Rüge aber dem Einwand ausgesetzt ist, daß das mündlich erstattete Gutachten diese Mängel ausräumen konnte. Letzteres hat der BGH hier »ausnahmsweise« (NJW 1999,2747) ausgeschlossen. 30 Im vorliegenden Fall hatte das Tatgericht den Antrag der Verteidigung auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen nur mit der Begründung abgelehnt, daß ihr die erste Sachverständige als sorgfältig und forensisch erfahren bekannt sei. Diese Begründung war dem Senat zu knapp. Eine derart knappe Begründung reiche nur dann aus, »wenn die Anhörung eines weiteren Sachverständigen beantragt wird, ohne die Gründe darzulegen, aus denen sich Zweifel an der Sachkunde ergeben sollen«. Im Rahmen der folgenden Ausführungen soll untersucht werden, ob diese Behauptung richtig ist. 31 BGH StV 1994,635; KK-Herdegen § 244 Rn. 58. 32 In diesem Sinne auch das hier besprochene Urteil, BGH NJW 1999,2746. 33 BGHSt 19,26; BGH NStZ 1983,568; LR-Wendisch § 34 Rn. 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 34 Rn. l. 34 BGHSt 2,286; BGH NJW 1999,2746; BGH NJW 1994,1484; OLG Köln StV 1988,336; KG StV 1986,142; HK-Lemke §34 Rn.1. 35 BGH NJW 1999,1484; KK-Herdegen § 244 Rn. 58. 36 Eisenberg (Fn. 5), Rn. 262; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 244 Rn. 43 d; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., 764. 37 KK-Herdegen § 244 Rn. 103. 38 RGSt 64 114: RG GA 39,233: RG JW 1929,260. 39 RG JW 1929,260. 40 RG JW 1929,2043. 41 So auch Meyer NJW 1958,616. 42 OGHSt 1,97; BGH NJW 1951,120. 43 BGBl.,455. 44 Die Wurzeln des Beweisantragsrechts liegen in der Rechtsprechung des RG, das die Bedingungen festlegte, unter denen Anträge auf Beweiserhebungen abgelehnt werden konnten. Dieses Richterrecht wurde 1935 Gesetzesrecht und in § 245 Abs. 2 StPO kodifiziert (RGBl. 1, 743). Allerdings fand dieser nur in Verfahren Anwendung, die auf eine Tatsacheninstanz beschränkt waren. Am 1.9.1939 wurde das Beweisantragsrecht wieder aus der StPO gestrichen (RGBl. 1,1658). 45 Sarstedt NJW 1968,177; Schlothauer StV 1989,336. 46 BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Sachkunde 1; BGH StV 1989,141 und 336; OLG Celle NJW 1974, 616. 47 So KK-Herdegen § 244, Rn. 103. 48 Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 36), 721. 49 Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens, Rn. 848. 50 S. hierzu Fn. 25.